Freitag, 31. Mai 2019

SuzyBlue goes east, 2019: Georgien und viele Gegensätze, 23.5.-03.06.

.....gleich vorweg als kleine "Warnung": mein ursprünglich kurz gedachter Georgien-Post wird nun doch etwas länger. In den wenigen Tagen hab ich viel erlebt....also, Kaffee holen, bequem machen und lesen :-)

Wie befürchtet kippt das Wetter am Mittwoch morgen und schon bald bin ich im
Regen unterwegs nach Georgien. Ich hab mir offen gelassen, ob ich die Strasse durch die Berge nehmen werde - dann mit einem Zwischenstop direkt nach Tbilisi oder der Küste entlang mit Zwischenstop in Batumi. Der Regen macht die Entscheidung leicht, es soll heute möglichst kurz und schmerzlos gehn. Da Jürgen eher länger in Georgien bleiben möchte und ein bisschen Freiraum braucht, sind wir vorerst wieder getrennt unterwegs und so fahre ich schon früher los. In strömendem  Regen - naja, irgendwann musste es auch mich mal treffen, ist dies doch mein erster Regentag seit ich losgefahren bin in der Schweiz - komme ich an die Georgische Grenze. Da sind grad mal zwei Schalter offen; einer für die vielen Lastwagen, der andere für alle anderen. Warten im Regen ist nur halbwegs lustig, aber ich kann's ja eh nicht ändern, also Geduld auspacken und warten. Wie ich dann an der Reihe bin - ich bin immer noch in der Türkei - kontrolliert ein Beamter zuerst meinen Pass und gibt ihn dann mit allen anderen Papieren weiter an seine Kollegin. Die tippt ein bisschen was ein, wartet, macht einen Anruf, wartet. Und sagt mir dann schlussendlich, ich soll das Motorrad etwas weiter vorne parkieren und zu ihr zurückkommen. Huch, was ist das denn? Bin ich irgendwo geblitzt worden? Oder hab sonstwas ausgefressen? Mit einem etwas mulmigen Gefühl lass ich meine SuzyBlue vor dem Dutyfree Shop stehen und kehre zurück an den Schalter. Noch einmal warten, noch ein Telefonat, dann gibt sie mir meine Papiere zurück. Phhh.... alle Aufregung umsonst. Ist mir auch recht so. Weiter geht's zum Georgischen Zoll. Das Fenster der Zollbeamtin ist auf ca. 180cm oben, ich muss mich also schon ziemlich strecken, um ihr meine Dokumente zu geben. Die sind definitiv auf Lastwagen und Busse eingestellt, nicht auf so kleine Motorradhüpfer wie mich ;-)
Kurz alles eingetippt, die Unterlagen für die obligatorische Versicherung in die Hand gedrückt und das war's dann schon. Cool! Ich fahre sogleich los und besorge mir die entsprechende Haftplichtversicherung, die mich für 15 Tage umgerechnet ca. Fr. 6.50 kostet. Naja, damit kann ich leben. Ich will es auf alle Fälle nicht drauf ankommen lassen, keine zu haben - man weiss ja nie.
Weiter geht's im Regen nach Batumi. Und wie mich viele vorgewarnt hatten, verändert sich der Fahrstil schlagartig. Die Georgier fahren ziemlich rücksichtslos, überholen rechts und auch oft sehr nahe, hupen wie wild. Aber im Vergleich zu Südamerika ist das immer noch total ok. Augen auf, eher defensiv fahren; aber wenn nötig dreh ich auch schon mal auf und lass einen Drängler links stehn und rausche an ihm vorbei.
viele Auto's sehen so aus.... kein Wunder, bei der Fahrweise ;-)
Das Hostel finde ich relativ problemlos; die App "OsmAnd" ist echt prima; ohne die würde ich wohl öfters stundenlang rumirren, mein Orientierungsvermögen ist nicht grad überdurchschnittlich entwickelt - nett ausgderückt. Ich bin grad dran, meine Sachen vom Motorrad zu packen, da werde ich von einem Deutschen Päärchen angesprochen. Wie es der Zufall will sind es Ruben und Kathie, die in der gleichen Gruppe wie ich die Tour China-Pakistan fahren werden. Sie haben das Schweizer Kennzeichen gesehen und sich gedacht, dass ich das sein könnte. Wir treffen uns zum Abendessen und haben viel zu quatschen. Gut möglich, dass wir uns bis China noch öfters über den Weg laufen, äh, fahren werden.
Ich bleibe noch eine Nacht länger und erkunde Batumi zu Fuss. Die Gegensätze, die ich antreffe, sind wirklich unglaublich krass. An der Meerfront werden 30-stöckige Hochhäuser namens "skytower, twintower, 7thheaven, etc." hochgedonnert, eines luxuriöser als das andere. Eine Reihe dahinter, resp. teilweise noch zwischendrin die an die Sowjetzeiten erinnernden lieblosen, serbelnden Plattenbauten. Ich mache mich schlau und kann nachlesen, dass es eine riesige Immobilien-Investement-Firma ist, die dies alles finanziert. Ich hab nicht rausgefunden, wer genau dahinter steht, aber bei der Geschichte Georgiens liegt das wohl auf der Hand, von wo solche Riesensummen herkommen. Auf dem Prospekt ist auch klar ersichtlich, dass die alten Häuser verschwinden werden, damit nichts mehr das Hochglanzleben (es sieht aus wie in Dubai) stört. Kaum anzunehmen, dass das fair und zugunsten der jetzigen Bewohner ablaufen wird. Somit hat es dann direkt am Meer den alten, aber sehr schönen Rustaveli-Boulevard, direkt dahinter die Hochglanzhochhäuser mit 'zig protzigen Casinos und dann erst kommt das reale Batumi. Viele oft ziemlich heruntergekommene, ärmliche Häuser, die den Lebensstandard der "normalen" Bevölkerung recht gut zeigen.





 


Natürlich hat es auch hübsche Ecken, die "Altstadt" hat Flair, die vielen Restaurants und Strassencafes laden zum Verweilen ein. Dass ich dabei sogar ein prima Restaurant finde, das "Bern" heisst und entsprechende Bilder drin hat, ist dann noch das Tüpfelchen auf dem "i". Da muss ich natürlich reingehen ;-)






Dennoch mache ich mich am nächsten Morgen dann gerne wieder auf den Weg. Diese Stadt ist nichts für mich. Der Wetterbericht wieder eher unsicher, daher keinen Abstecher in die Berge sondern auf der Haupt-, resp.Schnellstrasse nach Tbilisi, der Hauptstadt Georgiens. Wie überall in Georgien trifft man auf und neben den Strassen diverse Tiere an, hauptsächlich Kühe. Aber auch Schweine, Schafe, Gänse und Ziegen watscheln manchmal gemütlich quer über die Strasse.



Auf dem Weg fange ich auch noch gleich meine erste Busse ein. Ich habe einen sehr langsamen alten Lada überholt und dabei um etwa 5cm die Sicherheitslinie überquert. Leider grad im Blickfeld eines Polizisten. Etwas, was sämtliche Georgier zwar immer und überall auch machen, aber erwischt ist erwischt. Das Ganze kostet mich umgerechnet 15 Franken, für Georgien ein stolzer Preis. Naja. Die Busse kann man übrigens nicht direkt beim Polizisten bezahlen sondern muss dafür in eine Bank rein, wo es extra Automaten gibt dafür. Das nenn ich dann mal gut organisiert.

In Tbilisi angekommen beziehe ich für zwei Nächte ein AirBnB Appartement und für die weitere Nacht dann wieder ein Hostel. Das Appartement liegt perfekt, die Altstadt und die Sehenswürdigkeiten sind in Geh-Distanz und ansonsten ist die Metrostation ganz in der Nähe. Ich erkunde Samstag und Sonntag die Stadt, es gibt wirklich viel zu sehen. Zudem feiert Georgien am 26. Mai Unabhängigkeitstag (von 1918) und die Festvorbereitungen laufen auf Hochtouren, inkl. Militärparaden.
Die Rustaveli-Avenue und der Freiheitsplatz sind am Feiertag dann komplett gesperrt; es ist eine Mischung zwischen Kirmes, Militärpropaganda, Spielwiese, Stände mit lokalen Produkten und dem "Beweihräuchern" der Leistungen der eigenen Sportler. Aber eine friedliche Atmosphäre und so lasse ich mich durch die Menschenmenge treiben.





 


Ich besuche auch den berühmten Flohmarkt bei der "dry bridge" und es ist wirklich erstaunlich, was für ein Sammelsurium an Gegenständen, Kitsch, Bildern und Souvernirs hier angeboten wird. Beim Begutachten von alten Photoapparaten komme ich mit dem Verkäufer ins Gespräch und als er hört, dass ich aus der Schweiz komme, zaubert er doch tatsächlich zwei alte Schweizer Banknoten aus seinem Fundus. Die kaufe ich ihm natürlich gerne ab, er kann definitiv nichts mehr damit anfangen.









Zu guter Letzt fahre ich dann mit der Standseilbahn - wen wundert's, die ist von der Schweizer Firma Garaventa gebaut - rauf zum Fernsehturm. Von da hat man einen phantastischen Blick auf die Stadt und anschliessend ist es ein wunderschöner Spaziergang rüber zur Statue der "Mutter Georgiens".


  


 




Ich komme grad rechtzeitig zurück ins Hostel, bevor ein währschaftes Gewitter, inklusive Hagel über die Stadt zieht. Etwas, das sie hier scheinbar sehr selten haben. Beim Wechsel vom Appartement ins Hostel hab ich auch noch Gelegenheit, mit George, dem Besitzer zu plaudern. Er erzählt mir viel von der Geschichte und vom jetzigen Georgien. Ein Land, das durch die ständigen Okkupationen - nicht zuletzt vor allem durch die Russische - extrem viel aufzuholen hat. In jeder Beziehung: wirtschaftlich, politisch und auch im sozialen. Die Bevölkerung ist in den letzten Jahren gesunken, viele Georgier mit guter Ausbildung verlassen das Land, da sie hier kaum Perspektiven haben: ausser dem Tourismus und der Landwirtschaft (hier v.a. Weinanbau) gibt es nicht viel. Ca. 30% der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze. Daher auch die krassen Gegensätze und beispielsweise auch die vielen alten, bettelnden  Menschen, die mir in beiden Städten aufgefallen sind. Ein trauriges Bild, das mir manchmal schon sehr Mühe macht. Ich kann's nicht ändern, aber zumindest meinen Teil beitragen und gehe ausschliesslich in kleinen Quertierläden einkaufen. Das Leben hier ist für uns natürlich sehr günstig und das Essen unglaublich lecker.




Am nächsten Tag geht's weiter, ich treffe mich heute mit Tommy, einem Deutschen Motorradkollegen. Er hat sein Motorrad in Georgien eingelöst, über den Winter hier eingestellt und wir werden ein paar Tage zusammen unterwegs sein. Auf dem Weg zu unserem Treffpunkt besichtige ich ein paar der wunderschönen und beeindruckenden Klöster, für die Georgien berühmt ist.






Am nächsten Tag geht's nun in die Berge. Wir haben zwei Abstecher in kleine Täler geplant, bevor es dann nach Aserbeidschan geht.
Das erste Tal führt uns auf rund 80km Schotterpiste über den 2689m hohen Datvis-Jvaris-Pass ins kleine Dorf Shatili, das auf rund 1450müM liegt und noch Häuser in der ursprüngliche Architektur hat. Das Dorf hat früher auch als Festung für das Georgische Königreich gedient, da es bis zur Russischen Grenze grad mal 5km sind. Es ist von einigen wenigen Bewohnern ganzjärig bewohnt, diese sind aber rund 2 -3 Monate von der Umwelt abgeschnitten.
Die Strasse dahin wird fleissig erneuert und die Schäden durch Schnee und Erdrutsche ausgebessert. Das heisst für uns, dass wir über etliche grosse Erdhaufen fahren "dürfen", durch die Bagger notdürftig fahrbar gemacht. Nicht immer ein leichtes Unterfangen und mein Puls schnellt ab und zu doch etwas in die Höhe beim überqueren, vor allem beim Rückweg.













Wir fahren dann aber zügig weiter zum nächsten Tal, das wir nach einer ruhigen Nacht am Fluss in Angriff nehmen. Die Piste (mit Strasse hat das schon lange nichts mehr zu tun) führt uns auf rund 25km von 500müM auf 2865müM zum Abano Pass. Augenscheinlich haben nicht nur der Winter sondern auch die Gewitter der letzten Wochen der Piste arg zugesetzt. An einigen Stellen ist nicht mehr allzuviel Platz, bevor es steil den Abhang runter geht. Da muss man mit viel Konzentration fahren, ein Fahrfehler könnte katrastrophale Folgen haben. Natürlich schaffe ich es tatsächlich, meine SuzyBlue an einer heiklen Stelle hinzulegen. Ich bin froh, ist Tommy mit dabei, zusammen stellt sich so ein voll beladenes Motorrad definitiv besser wieder auf ;-) Nach etlichen Spitzkehren mit vielen Steinen, Schotter und kleinen Wasserdurchfahrten gelangen wir zum Pass. Wow, da hat es rechts und links noch ganz schön viel Schnee. Und leider müssen wir mit Entsetzen dann auch feststellen, dass der Weg nach Omalo runter noch mit Schnee bedeckt ist. Sie sind zwar offensichtlich mit schwerem Gerät dran, die Strasse frei zu bekommen, aber das wird wohl noch ein paar Tage dauern. Heisst für uns, dass wir den ganzen Weg wieder zurück fahren dürfen. Phhhh.... da fällt bei mir das Stimmungsbarometer einen Moment ganz schön ins Negative. Aber es gibt ja keine Alternative. Also rechtsumkehrt und runter. Ich muss mich echt konzentrieren, es läuft aber soweit ganz gut; runter fahren ist einfach weniger kraftraubend.









       






Unterwegs treffen wir wieder auf die grosse Schafherde, die wir schon beim Rauffahren überholt hatten. 4, 5 Hirten mit etlichen voll bepackten Pferden, Hunden und sicher an die 150 Schafe und Ziegen. Sie machen grad Mittagspause und laden uns spontan zum Mit-Essen ein. Gurken, Tomaten, deftiger Schafkäse, Brot und gekochtes Schaf.....ok, von dem hab ich nicht probiert, bin ich nicht so Fan von Schaffleisch und offensichtlich war das komplette Schaf gekocht und zerlegt worden. Doch etwas gewöhnungsbedürftig.... nett ausgedrückt.






Zurück auf der Hauptsstrasse fahren wir dann noch bis Lagodekhi, das nur noch 5km von der Grenze zu Aserbeidschan entfernt ist. Dort quartieren wir uns in einem wirklich tollen Guesthouse ein. Ich bin fix & fertig, der Oberkörper total verspannt, mein Kopf glüht. Ich glaube, der grosse Höhenunterschied - es waren total doch rund 4500 Höhenmeter - gepaart mit der Anstrengung, hat mir nicht gut getan. So steht heute nun also ein Ruhetag und morgen etwas wandern auf dem Programm; SuzyBlue erhält wieder eine wohl verdiente Wäsche und so wird es dann übermorgen frisch und munter nach Aserbeidschan weiter gehn.