Am Sonntag zügle ich wieder zurück ins ROKPA Guesthouse im Boudha-Quartier. Ich organisiere mein 11-tägiges Trekking, geniesse die Zeit um noch weitere Nepalis zu treffen und erfahre so noch mehr über ihr Leben und über ihre Kultur. Da ich im Auftrag von ROKPA in ihrem Guesthouse die erste Woche einen "mystery check" durchgeführt habe, kann ich so zumindest einen kleinen Beitrag leisten und den Studenten ein paar wertvolle Tipps mit auf den Weg geben. Es ist ein tolles Team hier und es macht richtig Freude zu sehen, wie diese jungen Nepalis dank dieser Ausbildung (Koch, Service oder Etage/Reception) zumindest weit bessere Chancen haben werden, einen richtigen Job zu finden und somit ein Einkommen, das ein anständiges Leben ermöglicht. Absolut keine Selbstverständlichkeit hier.
Die Tage verfliegen im Nu und am Sonntag geht es dann los auf das mit Spannung erwartete Trekking zum Langtang Valley, inklusive einem Abstecher zu den heiligen Seen von Gosaikunda.
Ich leiste mir den "Luxus", einen Guide und einen Träger für mein Gepäck mit dabei zu haben. Dies hat einerseits damit zu tun, dass ich mir im Vorfeld nicht ganz sicher bin, wie gut mein Knie - bei meinen sicher nicht optimalen konditionellen Voraussetzungen - eine derartige Belastung goutieren wird. Und andererseits schlage ich damit auch gleich mehrere Fliegen mit einem Schlag: ich erhalte topaktuelle Informationen unterwegs zu allem, was mich interessiert: Menschen, Landschaft, Natur und Berge. Zudem erhalten so zwei junge Männer während 11 Tagen ein faires Gehalt, das ihnen auch ermöglich, in kleinem Rahmen ihre Familien zu unterstützen. Es hat dermassen viele Trekking-Anbieter, dass es vorgängig überhaupt nicht einfach war, einen "guten" Anbieter zu finden. Über andere Trekking-Gäste im Guestouse bin ich dann aber auf "fairsteptrekking" gestossen. Ein lokaler Anbieter, dem es ein Hauptanliegen ist, den Mitarbeitenden faire Arbeitsbedingungen (und damit auch Bezahlung) zu bieten, für die Kunden top Trekkings zusammen zu stellen und unterwegs auch entsprechend lokale, oftmals kleine Teahouses/Guesthouses zu berücksichtigen. Nach einer Vorbesprechung 3 Tage vor dem Trekking werde ich dann am Sonntag Morgen um 7 Uhr vom Chef des Trekking-Unternehmens und meinem Guide abgeholt. Er "übergibt" mich meinem Guide Bishal, der die nächsten 11 Tage für mich verantwortlich sein wird. Mit einem privaten Jeep - die lokalen Busse und ihre Fahrweise sind mir nach meiner Motorradtour nicht mehr geheuer! - fahren wir die 150km von Kathmandu nach Syabrubesi, dem Start unseres Trekkings. Die Fahrt dahin im Prinzip problemlos, dauert aber "dank" der desolaten Strassenzustände und natürlich mit Mittagspause gute 7 Stunden. Kurz vor Syabrubesi laden wir dann auch noch Kushal, "meinen" Träger auf.
In Syabrubesi machen wir es uns im "Buddha Guest House" bequem und ich erkunde noch ein bisschen das Dorf. Ich gehe schon kurz nach dem Abendessen schlafen, da es morgen bereits um 7.30h Uhr losgehen wird.
Die erste Nacht übernachten wir im Guesthouse-Weiler "Lama Hotel" und am zweiten Abend dann in "New Langtang Village". Auf dem Weg dahin passieren wir das riesige Geröllfeld unterhalb des Langtang Lirung (7227müM) und erreichen vor dem neuen Dorf dann die Gedenkstätte für die mehr als 200 Menschen - Einheimische und ca. 40 Touristen aus aller Welt - die beim Erdbeben vom 25. April 2015 ihr Leben verloren haben. Die gewaltige Erschütterung hatte eine Lawine aus Eis, Schnee und Felsen ausgelöst, die das gesamte Dorf Langtang innerhalb von Sekunden komplett verschüttete. Die Menschen im Dorf hatten nicht den Hauch einer Chance zu entkommen. Allein die Druckwelle hat sämtliche Bäume auf der gegenüberliegenden Talseite auf einer Länge von ca. 1km einfach niedergewalzt. Die Menschen, die das Glück hatten, in diesem Moment nicht direkt beim Dorf Langtang zu sein, waren eine ganze Woche ohne jegliche Hilfe, abgeschottet von der Aussenwelt. Praktisch jeder & jede hat Familienmitglieder verloren, teilweise sind ganze Familien ausgelöscht worden. Ein erschütternde, bewegende Vorstellung.
Dank einigen Luftballons, die ich für die Kinder mitgenommen hatte, komme ich mit einer einheimischen Familie in Kontakt; die Mutter ist eigentlich im Gebiet Helambu verheiratet - das auch schwer vom Erdbeben heimgesucht worden war - und ist grad in Langtang, weil ihr Vater gestorben ist und um ihrer Schwägerin - die einzigen Überlebenden ihrer Familie nach dem Erdbeben - bei der Beerdigungsprozedur zu helfen. Es macht traurig und betroffen, ihre Geschichte - eine von vielen - zu erfahren. Und gleichzeitig ist es einfach nur bewundernswert zu sehen und zu erleben, wie sie ihren schwierigen Alltag meistern, nach vorne schauen und versuchen, das Beste für sich und vor allem für ihre Kinder zu geben. Diese Fähigkeit macht es wohl möglich, dass Nepal nach dem Erdbeben nicht völlig zusammen gebrochen ist. Die Nepalis sind ein hartes Leben gewohnt, ihre Religionen und Traditionen helfen ihnen, den beschwerlichen Weg zu gehen, der vor ihnen liegt. Ich lasse an Kleidern da, was ich entbehren kann und hoffe, dass ich den Kontakt zu Kumar und ihrer Familie aufrecht halten kann.
Am nächsten Morgen geht es weiter nach Kanjin Gompa, das wir bereits nach 4 Stunden erreichen. Wir befinden uns nun auf rund 3850müM und die dünne Luft macht mir das Leben schon langsam etwas schwer. Ich habe zwar überhaupt keine Anzeichen der Höhenkrankheit, aber bin inzwischen recht langsam unterwegs - auch wenn Bishal mir immer Mut macht und sagt, ich sei stark und schneller als die meisten. Dass die beiden jungen Männer beim Wandern noch stets plaudern, lachen oder singen zeigt mir klar auf, dass unsere Kondition Welten auseinander liegt ;-) die beiden kümmern sich vorbildlich um mich, geben auch acht, dass ich genug trinke und Pausen mache. Und wir haben viel Spass miteinander, können wir uns gegenseitig Sachen aus unseren total unterschiedlichen Leben erzählen und erklären. Es ist für mich immer noch sehr ungewohnt, dass immer ich zuerst verpflegt werde und quasi mein OK geben muss, bevor sie sich um ihr Essen kümmern. Aber sie versichern mir, dass das auch mit ihrer Tradition zu tun habe und es für sie selbstverständlich sei.
Um mich ein wenig zu schonen verzichte ich auf den Aufstieg auf den Tserko Ri (4950müM) und laufe am nächten Tag einfach gemütlich dem Fluss weiter dem Tal entlang. Dass ich dabei in den Genuss komme, die sehr seltenen "blue sheep" zu sichten, freut mich natürlich sehr.
Anschliessend besuche ich noch die vermutlich einzige Käserei auf mehr als 3800müM :-) Sie wurde 1954 tatsächlich von einem Schweizer mitgegründet, der den Nepalis gezeigt hat, wie man Käse herstellt.
Nach den 4 ersten Tagen geht es nun wieder abwärts; zurück bis nach Rimche auf 2400müM, wo wir dann am nächsten Tag den Fluss überqueren und nach Thulo Syabru rauf laufen. Die heiligen Seen von Gosaikunda sind unser nächstes Ziel.
Nach schweisstreibenden Stunden und einer Übernachtung in Cholangbati erreichen wir die Guesthouses beim See Gosaikunda. Wir befinden uns nun bereits auf 4380müM; selbst sich im Schlafsack zu drehen ist anstrengend :-) Aber die einzigartige Landschaft, die Sicht auf die vielen Bergriesen (bsp. auf den Manaslu, der mit 8163müM achthöchste Berg der Welt) sind die Anstrengung mehr als nur wert.
Schon beinahe etwas wehmütig laufen wir dann wieder abwärts, um einen Tag später Dunche zu erreichen. Nach dem typischen Dal Bhat zum Mittagessen erwartet uns der Jeep bereits für die Rückfahrt nach Kathmandu.
Während den 10 Tagen sind wir ca. 100km gelaufen und haben total +/-12'000 Höhenmeter überwunden. Ein unvergessliches Erlebnis mit wiederum vielen tollen Begegnungen, auch mit anderen Trekkern aus aller Welt. So etwas erleben zu dürfen ist einfach unbeschreiblich und ich bin mir sehr bewusst, was für ein Privileg dies ist.
Ich kehre müde aber extrem zufrieden und natürlich voller Eindrücke ins ROKPA Guesthouse zurück. Meine letzte Nacht in Nepal bricht an, ich geniesse nochmals die Aussicht auf das nächtlich beleuchtete Kathmandu.
Am Donnerstag Abend dann der Rückflug nach Hause via Abu Dhabi; bis auf ein paar Rüttler in der Luft wieder völlig entspannt.
Es ist ein schönes Gefühl, wieder zu Hause bei seinen Liebsten zu sein.
Die 6 Wochen in Nepal wirken aber nach und ich werde wohl noch einige Zeit brauchen, alles, was ich erlebt, er"fahren" und gesehen habe, zu verarbeiten. Und ich habe das unbestimmte Gefühl, dass mich Nepal nicht mehr so schnell loslassen wird.
Zwar ist meine SuzyBlue zur Zeit noch auf dem Rückweg in die Schweiz, aber für mich ist meine Reise "Seidenstrasse 2019" damit definitiv zu Ende. Was nun? Ich lasse mir Zeit zu entscheiden, wie meine berufliche Zukunft aussehen wird. Langweilig wird's mir aber sicher so oder so nicht.
In dem Sinne: hasta luego mi amigos.... bis zu meinem nächsten Abenteuer ;-)